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November 20th 2025

Herberts Welt #20

Herberts Welt #20

Wir präsentieren die Ausgabe No. 20 der Mafo.de-Kolumne "Herberts Welt"
Unser CEO Herbert Höckel spricht dort über eine mögliche Neuauflage der „Du bist Deutschland“-Marketing-Kampagne von 2005, welche Besonderheiten der deutschen Kultur dieses Mal unbedingt berücksichtigt werden müssten und wie genau Taiwan als Vorbild für unser Land dienen kann. Viel Spaß beim Lesen! 


Herberts Welt #20: 
Du bist Deutschland – Reloaded!


„Schon einmal haben wir schon eine Mauer niedergerissen … Deutschland hat genug Hände, um anzupacken … Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig … Du bist 82 Millionen … Behandel Dein Land wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn … Du bist Deutschland.“ 

Kommen diese Sätze dem ein oder anderen noch bekannt vor? Sie stammen aus dem Manifest der „Du bist Deutschland“-Marketing-Kampagne von 2005 und passen doch eigentlich wortgleich in die heutige Situation von 2025. Schließlich prasseln schon seit etlichen Monaten die Befunde nur so über uns ein, wie schlecht es unserem Land geht und dass wir noch viel schlechter für die Zukunft aufgestellt scheinen. 

Ja, dass wir als Land derzeit trübe in die Zukunft schauen, ist vielfach belegt: Das sagen übereinstimmend verschiedenste Verbraucherstimmungs- und Geschäftsklimaindizes wie auch die bekannten politischen Umfrageinstitute. Ein aktueller Artikel aus dem Tagesspiegel (01.10.2025) beschreibt, dass laut einer weltweiten Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts Ipsos 45 (!) Prozent der Menschen in Deutschland explizit pessimistisch gestimmt sind. Laut etlicher Studien bleiben Unternehmen (zu) zurückhaltend bei Anschaffungen und Investitionen, nimmt die Bevölkerung ein sich verstärkendes Gefühl des Reformstaus wahr und polarisiert sich politisch immer stärker.

Eine neue Du-bist-Deutschland-Kampagne?

Also einfach eine neue Kampagne „Du bist Deutschland 2025“ aufsetzen? Taugt denn die Kampagne von vor 20 Jahren überhaupt als Vorbild? Vermutlich nicht, schließlich monierten schon die damaligen Zeitgenossen die fehlende Substanz der Initiative, die lediglich an der Oberfläche des Gute-Laune-Faktors dreht und die Verantwortung für das Schicksal des Landes auf den Einzelnen abschieben wollte. 

Prof. Dr. Andreas Brunold von der Universität Augsburg urteilte damals im Magazin "polis" (2/2006), dass in der Kampagne „die gedrückte Stimmung im Land nicht auf steigende Arbeitslosigkeit oder sinkende Realeinkommen zurückgeführt, sondern die Misere [in Deutschland] umgekehrt als Folge individueller schlechter Laune dargestellt wurde, die jederzeit durch innere Einkehr und positives Denken korrigiert werden könne.“ Und dass statt „einer Solidarität gemeinsamer Werte und Ziele“ besser „der einzelne die Ellenbogen benutzen und Eigeninitiative zeigen“ solle. 
(Quellen: wikipedia „Du bist Deutschland“; polis „Du bist Deutschland“ - Eine Inszenierung von Politik

Wenn Sie mich fragen: Eine eher befremdliche Philosophie für eine 30 Millionen Euro schwere Medienkampagne, die damals vom Bertelsmann-Konzern koordiniert wurde.

Inspirationen auf der ESOMAR 2025

Angenommen ich hätte nun die fiktive Aufgabe, die damalige Deutschland-Kampagne auf das heutige 2025 zu übertragen … dann würde ich mich vom niederländischen Organisationstheoretiker und Berater Fons Trompenaar inspirieren lassen! Genauer gesagt von seiner Abschluss-Keynote "Reconciling Dilemmas", gehalten auf dem jüngsten ESOMAR-Kongress in Prag.

Unter anderem thematisierte Trompenaar sein bekanntes Modell der nationalen Kulturunterschiede und gab damit gleichzeitig wertvolle Hinweise, wie ein Land in einer (Stimmungs-)Krise am besten angesprochen und „mitgenommen“ werden sollte. In unserem Falle also, wie sich die Bürger Deutschlands vor allem „kulturadäquat“ ansprechen lassen, damit eine Kampagne zur Drehung der Gemütslage auch verfängt. Hier ein guter Überblick zum grundsätzlichen Modell.

Trompenaar arbeitete immer auch typisch deutsche Eigenarten heraus, so dass ich anhand seiner sieben Dimensionen die aktuelle Lage unseres Landes wie folgt beschreiben würde: 

Universalismus vs. Partikularismus: 
Die in unserem Land immer schon hohen Ansprüche an Fairness- und Regeltreue treffen zunehmend auf Ausnahmen wie sinnlos wahrgenommene Bürokratie, ungeregelte Migration oder auch unverständliche Energiepreise. Zu oft klafft für den Durchschnittsbürger somit eine Lücke zwischen scheinbarer Norm und Wirklichkeit.

Individualismus vs. Kollektivismus:
Zwar sieht sich der deutsche Ottonormalverbraucher immer auch selbst in der (Leistungs-)Pflicht, er erwartet dabei aber gleichzeitig einen verlässlichen, also sicheren Rahmen durch Normen, Regeln und Gesetze. Gerade diese Sicherheiten scheinen derzeit jedoch stärker denn je zu wackeln. Aktuelle Beispiele dazu: Die plötzlich zurückgenommenen Förderungen von E-Autos oder das Durcheinander beim sogenannten Heizungsgesetz. 

Neutral vs. Affektiv: 
In einer eher neutralen Kultur wie der deutschen (Italien ist z.B. eine typisch emotionale Kultur) wirkt der heutige krisenkonzentrierte Alltag in Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend verunsichernd auf die Menschen. Vor allem dann, wenn stets nur Konflikte oder Risiken - und eben kaum Lösungen - in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Nicht zuletzt die derzeit irgendwie auch überdrehte und fatalistische Untergangsstimmung in der Automobilindustrie steht hierfür Pate. 

Spezifisch vs. Diffus: 
Die Gewaltenteilung in unserer Demokratie war schon immer ein hohes Gut. Ganz ähnlich lässt sich auch die Trennung der „Sphären“ von Politik, Wirtschaft, Medien argumentieren. Doch inmitten von multiplen Krisen wären konstruktive Schnittstellen untereinander wohl von Vorteil, statt mit einem scharfen Neben- und Gegeneinander nur Reibung und Misstöne zu verursachen, wie es nunmehr täglich zu vernehmen ist. 

Leistung vs. Zuschreibung: 
Die schwachen Wachstumsraten in den letzten Jahren erschüttern das seit Jahrzehnten gelernte und erfolgsverwöhnte Leistungsnarrativ der Deutschen. Lange vertraute Spitzenplätze in den weltweiten Rankings verschiedenster Wirtschaftssektoren gehen zunehmend verloren und schaffen so ein hilfloses Gefühl des Zurückfallens, verbunden mit der Angst vor Wohlstandsverlusten – vor allem auch für die nachkommenden Generationen.

Sequenziell vs. Synchron: 
Zumindest tendenziell mögen Deutsche eine sequenzielle, d.h. chronologische Herangehensweise: Also eine Herausforderung nach der anderen bitte! Doch immer mehr (zwingende) Transformationen laufen parallel ab, z.B. zum Klima, zur Verteidigung, zu demografischen Problemen und natürlich auch zur Digitalisierung bzw. Künstlichen Intelligenz. Als Resultat verspüren viele ein resignierendes Gefühl der Überforderung.

Innere vs. äußere Kontrolle: 
Das bundesrepublikanische Selbstbild prägte sich nicht zuletzt am Wiederaufbau nach 1945. Das „Wir sind wieder wer“ hatte ein spezifisches, kraftvolles Selbstwirksamkeitsideal geschaffen. Ein Ideal, das nun zunehmend hilf- und zahnlos wirkt gegen die Unmengen an externen Schocks der Gegenwart: Echte Kriege, Zoll-Kriege, Lieferkettenprobleme und andere Themen senken die wahrgenommene Kontrollierbarkeit im eigenen Land. 

  Bringt man nun die genannten Analysefelder noch mit den gängigen Sozialen Medien zusammen, spielen letztere eine klare Verstärkerrolle. Zwar genießen deutsche Leitmedien im Vergleich zu anderen Ländern immer noch ein relativ hohes Vertrauen in der Bevölkerung, doch erodiert es seit längerem auch hierzulande. Und das aus längst bekannten Gründen: Weil die Plattformen und deren Algorithmen im freien Spiel der Kräfte (nach Beachtung) die einfach besseren Karten haben und somit mehr Aufmerksamkeit an sich reißen. Konflikte und Negativität werden nach wie vor belohnt, während eine konstruktive Kommunikation das Nachsehen hat. Das ist und bleibt ein wahres Geschwür im öffentlichen Raum.  

Das heißt aufgeben und fatalistisch in die Zukunft blicken? Nein, sicherlich nicht. Anhand der genannten Punkte kennen wir ja nun einige relevante Hebel, wie sich die Stimmung im Land wieder drehen ließe. Vielleicht also sogar mit einer Neuauflage der „Du bist Deutschland“-Kampagne“. Zumindest einige Ratschläge dazu würden mir hiermit einfallen: 


  • Durch den regelgebundenen Charakter Deutschlands wäre es extrem wichtig, fairen und transparenten Normen wieder zu 100% Geltung zu verschaffen. Also mit klaren „Regel- und Nutzenpaketen“, die von jedem Bürger nicht nur einfach und leicht zu verstehen, sondern sogar zu überprüfen sind. Warum nicht frei einsehbare „Dashboards“ in alle Bereiche des öffentlichen Lebens implementieren, um mit einer radikalen Offenheit bereits verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen?! Die wieder ganz aktuell diskutierte Maßnahme der Regierung „Wenn eine Behörde nicht fristgerecht reagiert, gilt der Antrag als genehmigt“ geht hier übrigens in die gleiche Richtung (Stichwort: Novelle der „Genehmigungsfiktion“). Denn auch ewige Bearbeitungszeiten nähren das Gefühl von Dysfunktionalität und müssen ein Ende haben. 

  • Gemeinschaft muss (wieder) spürbar und sogar lohnenswert werden. Warum nicht eine Bürger-Dividende für messbare Einsparungen in einer Kommune einführen, damit sich Engagement wirklich lohnt? Dazu gehört ebenfalls, den Menschen Freiheiten für innovative, mutige Entscheidungen zu lassen, die selbst für den Fall des Scheiterns nicht in einer Sackgasse enden, sondern nach neuen Wegen suchen können. 

  • Ganz grundsätzlich sollte es stärker ums Mitmachen auf Augenhöhe gehen. Und zwar zwischen den Bürgern und vor allem zwischen Staat und Bürgern: Vertrauen geben, auch Budget bereitstellen, Partizipation fördern und damit Optimismus vorleben. Statt „Du BIST Deutschland“ (wie 2005) besser „Wir alle SIND Deutschland - und wollen es auch BLEIBEN!“ 

Humor over rumor oder das Beispiel Taiwan!

Eine zeitgemäße Kampagne erfolgreich vorgemacht hat übrigens Taiwan in Persona der ehemaligen Hackerin Audrey Tang. Tang war von 2016 bis 2024 Digitalministerin und hat in dieser Zeit etliche bahnbrechende Tools zur Bürgerbeteiligung entwickelt. War das Vertrauen der taiwanesischen Bürger in ihre staatlichen Institutionen 2014 bei sage und schreibe nur 9% stieg es bis 2020 auf über 70%. Ihr Mittel dazu beschreibt sie selbst so: Um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, muss umgekehrt erst mal die Regierung den Menschen radikal vertrauen. 

Entscheidend waren die Strukturen der eingesetzten Beteiligungsplattformen: Konsensorientiert, brückenbildend und vor allem depolarisierend. Menschen können dort (nach wie vor) zwar auch ihre Ansichten und Gefühle teilen, es gibt aber keinen Antwort- oder Retweet-Button. Trollen wird somit schon mal der wichtigste Hebel genommen.  

Belohnt wird, wer dem gemeinsamen Nenner „Aller“ zuträglich ist. Empörung dagegen wird der Reiz entzogen. Die nun weltweit tätige Digitalbotschafterin betont außerdem das Prinzip: Humor over rumor. Prägnant eingesetzt wurde das von Tang zur Zeit der heftigen Corona-Impf-Diskussionen, als sie sich öffentlichkeitswirksam gleich vier teils umstrittene Stoffe gleichzeitig spitzen ließ und danach sagte: Seht her, ich lebe noch! (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 17.10.2025 sowie Wikipedia). 

Zurück nach Deutschland und zur Zivilgesellschaft

Auch bei uns funktioniert die Zivilgesellschaft manchmal besser als die meisten glauben, nur geht das öfters leider unter. Oder kennen Sie die schiere Menge an gemeinnützigen Projekten und Initiativen, die es heute überall im Land gibt und die sich jeden Tag tatkräftig um die Demokratie, Umwelt, benachteiligte Menschen oder um andere Belange der Gesellschaft kümmern? Tausende! Wirklich tausende! Allein die Zahl der Ehrenamtlichen wird laut Statista für 2025 mit 16,9 (!) Millionen angegeben. Ist das nicht ein echt starkes Zeichen, dass dieses Land mitnichten nur aus Nörglern oder Pessimisten besteht?  

16,9 Millionen freiwillig Tätige müssen folglich nicht mehr mit einer neuen „Du bist Deutschland“-Kampagne aufgeweckt werden. Ihnen gilt es im Gegenteil die Anerkennung zu geben, die sie verdienen. Und dazu gehört auch, ihre Arbeit leichter zu machen als bisher. Eine Idee wäre zum Beispiel, gerade auch bei kleineren Initiativen den Engagierten mit grundsätzlich unbürokratischen „Mikroförderungen“ unter die Arme zu greifen - z.B. mit bis zu 5.000,- Euro pro Projekt. Auch das wäre ein effektiver Beitrag zur Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit!  

Fazit

Eins ist sicher: Deutschland hat Substanz genug, um auch psychologisch wieder auf die Beine zu kommen. Die Schrauben sind alle da, es gilt nur den richtigen Dreh zu finden. Vorbilder auf der Welt, um eine Nation wieder aufzurichten, gibt es ebenfalls - siehe das Beispiel Taiwan, wo es gelungen ist, selbst Social Media eine konstruktive Rolle zu geben. Klar ist natürlich, dass es nicht um ein Schönreden unserer Probleme geht, denn die gibt es ja fraglos tatsächlich und die müssen auch alle gelöst werden. Durch kluge Politik aber mindestens genauso durch eine Gesellschaft, die sich unterhakt statt zu oft einfach Gift und Galle zu spucken.



Herbert Höckel

Herbert Höckel is a managing partner here at moweb research GmbH. He has been a market researcher for more than 25 years. In 2004 he founded moweb GmbH, which he is still the owner today. moweb from Düsseldorf operates internationally and is one of the first German market research institutes specializing in digital processes.

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